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Die frühere Essigfabrik
und warum man die Neefer „Furderetscher“ nennt
von Franz Josef Blümling

Um das Jahr 1900 befanden sich die Moselaner, somit also auch die Neefer Bürger, in einer sehr schlechten Zeit. Das Fuder Wein kostete höchstens 400 Reichsmark was der Staat so vorgeschrieben hatte. Und selbst zu diesem Preis hatte man Mühe, es überhaupt verkaufen zu können. Besonders das Jahr 1902 brachte für die Mosel-Winzer eine geringe Ernte mit schlechter Qualität. Es gab Weinbauern, die in diesem Jahr nicht viel mehr als ein Fuder Wein ernteten. Und fand man eine Arbeit, dann betrug der Lohn am Tag 2 Reichsmark. Die Arbeitgeber beschäftigten zudem ihre Arbeiter mit Vorliebe in den Sommermonaten, wenn die Tage lange hell waren. So wurde für den Tageslohnsatz mehr Arbeiten erledigt.


Ankern eines Weinladeschiffes

Sehr schmerzhaft konnte der Verlust eines Fuder Weines sein, wenn es „kippte“, was allerorts an der Mosel schon mal vorkam. Die Weintechnik war längst nicht auf dem heutigen Stand. Hauptsächlich die Essigfliege verursachte großen Schaden. Diese „Gärmücke“ wird vom gärenden Wein angelockt und legt ihre Eier mit Vorliebe in den Ansatz des Spundloches eines Weinfasses. Dringen die Eier in das Fass ein, „kippt“ der Wein. Er wird unbrauchbar und wertlos. Carl Kaufmann erfand nun die Möglichkeit, aus „gekipptem“ Wein Essig herzustellen. Dies ließ er sich patentieren und fing mit der Produktion an. Er erwarb solchen verdorbenen Wein überall an der Mosel und zahlte 200 Reichsmark je Fuder – also die Hälfte vom regulären Preis.

Außer Hause wurde der Weinessig nur fassweise verkauft. Also beschäftigte Kaufmann einen eigenen Küfermeister, der aus Eichenholz Fässer in kleineren Größen anfertigte. In der Regel waren es 100-Liter-Fässer. Die bei der Fassherstellung verbleibenden Späne fanden bei der Erzeugung des Essigs Verwendung. Sie wurden in einem Sud eingelegt. Später, wenn der Sud gereift war, wurde dieser gesiebt und dem Weinessig, der über eine Essigmutter hergestellt wurde, zugefügt. Wenn nun der Weinessig noch eine Zeit lang lagerte, bekam er einen besonders gefälligen Geschmack, den man bisher so noch nicht kannte. Besonders Hausfrauen schätzten den Weinessig von Kaufmann bei der Zubereitung von Salaten und Soßen.


Ein Flaschenetikett der Firma Carl Kaufmann

Der Umsatz des Essigs aus Neef stieg so spontan, dass schon bald zwei Handelsvertreter mit Proben durch die Lande reisten und reichliche Aufträge erhielten. Die Lieferungen erfolgten zuerst per Kutsche und Schiff. Die Firma Kaufmann hatte in Neef eigens eine Schiffsanlegestelle. Später wurde per Lastwagen und Bahn geliefert. Zeitweise beschäftigte die Neefer Essigfabrik bis zu 30 Leute. Wobei Carl Kaufmann auch noch ein großes Weingeschäft und eine Schnapsbrennerei betrieb.

Nachfolger von Kaufmann war sein Schwiegersohn Gerhard Derichs, der die Fabrik nach der völligen Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wieder aufbaute und unter dem alten Namen bis Anfang der 60er Jahre weiter betrieb.

Für das Weingeschäft bewirtschaftete die Firma Carl Kaufmann im Distrikt „Furt“ einen ganzen Berghang als Wingert, der sich „Rutschkopf“ nannte, weil diese Lage sehr steil und rutschig ist. Wenn nun die gegenüberliegenden St. Aldegunder Einwohner beobachteten, wie die Neefer Wingertsleut immer wieder ausrutschten und hinfielen, war das für sie amüsant und nannten die Neefer fortan Neefer „Furderetscher“ (die Neefer rutschten in der Weinbergslage „Furt“ aus) – ein Spitzname, der sich eingeprägt hat und bis heute Geltung hat.

 
 
 
 
 
 
 
 
De Nääfer Furderetscher
 
 
Vermutlich wurde im Jahre 1897 feierlich das erste mit Essig gefüllte Fass zum Versand gebracht.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Literaturnachweise:
  Aussagen von den Neefer Bürgern Karl Zimmer und Otto Lux
Eigenwissen des Autoren
Bildnachweise:
  Foto der Essigfabrik und des Wohnhauses - Derichs, Waltraud, Neef
Foto des Weinladeschiffes - Kurt Bergen, Neef - "Weinort Neef in Wort und Bild"
Foto Essigfass - Kurt Bergen, Neef - "Weinort Neef in Wort und Bild"
Zeichnung Nääfer Furderetscher - Kroth, Markus, Neef
Flaschenetikett Carl Kaufmann, Neef - Kurt Bergen, Neef
im nächsten Kapitel: Die Neefer Fähre mit der Fährbude
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